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Stammkunde – weißt du noch was das ist?

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Gerade jetzt in der Zeit der Bundespräsidentenwahl – die Wiederholung – merke ich, dass man sich auf viele Dinge nicht mehr verlassen kann. Wo sind die Stammwähler geblieben? Alte Werte zählen nichts mehr. Die Prognosen stimmen meist nicht, die Stimmung ist verhärtet, es entstehen gegengesetzte Pole und man wundert sich, wer da für wen Partei ergreift.

Um diese Zeit merke ich besonders, welche Bedeutung das Wort „Stamm“ für mich einmal hatte. Symbolisch bedeutet das für mich: ein dicker Baumstamm, der fest verwurzelt ist, aus dem sich jedes Jahr wieder frische Äste und Blüten entfalten können. Aber was ist wenn dieser Stamm fehlt?

Je näher es zu Weihnachten geht, denke ich an all die Traditionen, die ich als Kind noch erlebt habe. Jedes Weihnachten war gleich und bei vielen ist es heute noch so. Man kauft einen Christbaum beim selben Bauern oder -stand, man hat dieselbe Dekoration am Baum, man isst dasselbe Menü wie jedes Jahr, man lädt dieselben Leute ein, … Sogar meine Frau Mutter macht den Adventkranz nicht mehr selbst, obwohl dieser immer einen tollen Reisiggeruch im ganzen Haus verbreitet hat, sondern kauft dort, wo grad zur richtigen Zeit eine Aktion ist – jedes Jahr wo anders. Und wenn ich jetzt beginne, darüber nachzudenken, welche und vor allem wo ich die heurigen Weihnachtsgeschenke kaufen werde, stellt sich bei mir Planlosigkeit ein.

Wir liken Bilder im Internet oder überfliegen Bilder in Katalogen, ohne ein paar Zeilen des Inhaltes zu lesen. Die ersten Weihnachtspakete meines Nachbarn habe ich schon übernommen – alles übers Internet bestellt. Ich bin der typische Stammkunde, nicht nur aus Gewohnheit, sondern weil ich die Menschen hinter der Fassade kennen möchte. Noch vor einigen Jahren – oder sind´s schon Jahrzehnte? – war ich ein „Greißler-Fan“. (Das ist das kleine Geschäft ums Eck, das von jedem ein bisschen oder gewisse Spezialitäten im Sortiment hat, die wirklich einzigartig sind.) Dort wurde man noch oft mit dem Namen angesprochen und gefragt: Wie geht es ihnen heute? Leider gibt es diese Möglichkeit zumindest an dem Ort, an dem ich wohne, nicht mehr, denn diese Traditionsgeschäfte wurden alle schon geschlossen. Es gibt nur mehr eine Trafik, in der man mich noch kennt, ansonsten kann ich mich nur zwischen 4 Supermarktfilialien entscheiden, in denen ich anonym bin.

Sogar meine Schwester Rita bestellt die Weihnachtspackerl für meine Nichten schon im Internet, weil sie keine Zeit mehr für die Packerlralley in den Einkaufszentren hat. Und meine Nichte Elisa weiß meist gar nicht, was sie sich noch wünschen soll, weil sie ja eh schon alles hat und ihr Kinderzimmer schon „bummvoll“ ist, sodass sie immer wieder eine Entrümpelungsaktion starten muss, damit überhaupt noch Platz für was neues ist. Sie sitzt dann vorm Computer und surft – meist in Amazon herum, solange, bis sie doch etwas Interessantes findet. Und genau das kommt denn auf den Brief ans Christkind – wahrscheinlich wird der heuer schon mit den passenden Bildern und Artikelnummern versehen, quasi wie eine Bestellliste direkt am PC erstellt. Schreiben (vor allem handschriftlich) ist ja uncool, surfen, drucken oder elektronisch bestellen und vor allem dann auch liken ist in.

Und nachdem auch ich jetzt mein erstes Weihnachten auf Facebook erleben werde – der Ort, wo ich auch mit Menschen „befreundet“ bin, die ich noch nie gesehen habe, die ich überhaupt nicht kenne – werde ich wahrscheinlich auch über die Cloud Weihnachtsgrüße an Fremde schicken oder auch empfangen, eigentlich ein komisches Gefühl. Heute habe ich z.B. schon so viele Adventkränze in den sozialen Medien gesehen, dass ich gar keine Lust mehr habe, mir selbst einen zu dekorieren. Ich hoffe, dass ich da mit meinen Weihnachtswünschen nicht den einen oder anderen Menschen vergessen werde, der mich schon Jahrzehnte begleitet hat und mir wirklich wichtig ist und der meine Zeit, Gedanken und Wünsche wirklich wert ist.

Als Jugendliche hatten wir noch ein Stammlokal, wo wir uns regelmäßig am Samstagabend vor dem Ausgehen versammelt haben – heute nennt man das „Vorglühen“ und das passiert manchmal schon im trauten Heim oder an öffentlichen Plätzen, denn die typischen Stammlokale sind eher seltener geworden. Dort wurde auch der 24.12. vormittags zelebriert – mit echten Freunden treffen, fröhlich sein, lachen, genießen und sich miteinander freuen. Entweder gibt es das Lokal gar nicht mehr, oder es gab eine Neuübernahme, in der man nicht mehr so willkommen war oder man ist einmal verärgert worden, und geht dann nie wieder hin – die Fluchttendenz, die viele von uns immer öfter anwenden. Von einer Partei zu anderen, von einem Partner zum anderen, von einer Wohnung zur anderen, von einem Freund zum anderen, von einem Lokal zum anderen – es gibt ja eh genug davon. Nur die typischen Stammtische in den Traditionslokalen haben sich scheinbar seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten am wenigsten verändert, genauso wie der Alkoholkonsum an diesen Orten.

Oder von einer Arbeit zur anderen usw. Auch im Beruf sind die Stammmitarbeiter mittlerweile fast verschwunden. Manchmal höre ich, dass jemand der schon 3 Monate (oder sogar nur ein paar Tage) im Unternehmen ist, dann den neuen Mitarbeiter einschult. Viele Jahre lang in einer Firma zu sein, heißt mittlerweile nicht erfahren, sondern teuer zu sein. Und viele Unternehmen – derzeit z.B. einige Banken – nutzen jede Gelegenheit, um den Stammmitarbeitern eine dementsprechende Ehre zu erweisen, indem sie ihnen den vorzeitigen Ruhestand anbieten. Ebenso bei Chefs – kaum hat man sich mit dem Chef arrangiert und sich an seine Anforderungen angepasst, kommt schon der nächste. Warum will der genau das Gegenteil von dem, was sein Vorgänger wollte? Oft sind diese Prozesse schwer zu verstehen.

Doch zumindest bei der Auswahl, in welchen Supermarkt ich gehe, versuche ich konstant zu sein – zum Eigenschutz. Denn sobald ich in einem anderen „Großmarkt“ bin, beginnt wieder die Rätselrallye. Wo haben die denn wieder das Salz versteckt? Haben die schon wieder meine Lieblingskaffeesorte aus dem Sortiment genommen? Warum haben die meine Tagescreme nicht mehr? – ach ja, nur eine andere Verpackung, damit ich wieder suchen kann. Oft werden nicht nur die Verpackungen verändert, sondern auch die Inhaltsstoffe. Es nennt sich gleich, hat aber jetzt eine andere Farbe oder schmeckt anders. Besonders im letzten Jahr musste ich zwei Produkte – mein Lieblingsgetränk und meine Hautcreme ändern und wechseln, weil das Produkt – zwar auf den ersten Blick nicht erkennbar – umgeändert wurde. Mein Lieblingsgetränk fürs Auto schaut jetzt grausig gelb aus (erinnert mich immer an Urin) und gärt, sobald ich es ein paar Tage im Auto spazieren führe und meine Tagescreme wird einfach nicht mehr hergestellt. Also auch wenn ich wollte, könnte ich bei manchen Produkten nicht mehr Stammkundin bleiben.

Auch unsere Yoga-Stammgruppe ist schwer aufrecht zu erhalten, weil immer die eine oder die andere keine Zeit hat. Die gemeinsamen Termine verlagern sich mittlerweile von 1 x wöchentlich fast auf 1 x monatlich, weil wir von vielen, vielen anderen Verpflichtungen, manchmal hoffentlich auch angenehmen Begegnungen überrollt werden. Nur bei meiner Kosmetikerin und meinem Finanzberater ist es mir gelungen, Jahrzehnte lang eine Stammkundin zu bleiben. Ich kann mich auf diese Personen verlassen, werde ehrlich beraten und nicht zu „Einkäufen“ gedrängt oder überrumpelt, genau das schätze ich an meinen Geschäftspartnern, die schon fast zu Freunden geworden sind. Ich werde dort solange Stammkunde sein, bis äußere Umstände mich zu einer Änderung zwingen.

Ansonsten kenne ich wenige Leute, die z.B. immer noch Stammkunden im Urlaub sind – wer fährt noch jährlich mit denselben Leuten an denselben Urlaubsort? Auch wenn ich eher ein treuer Mensch bin, musste ich meine Urlaubsziele und auch die -begleiter immer wieder ändern. Wir wollten einige Jahre Silvester im Schnee verbringen – von Dauerregen bis T-Shirt Wetter inkl. der Kunstschneebahnen hatte wir alles dabei, nur keinen echten Schnee. Nach 3 missglückten Versuchen haben wir es dann aufgegeben und suchen jetzt nach einer anderen Alternative. Unsere deutschen Nachbarn sind da eher noch die typischen Stammgäste, denn beim Quartiersuchen in den Weihnachtsferien wurden wir immer wieder wegen der meist mindestens eine Woche bleibenden deutschen Stammgäste abgelehnt. Man wollte sogar warten, ob die Stammgäste vielleicht doch wiederkommen und nur – falls diese kurzfristig verhindert sind – hätten wir dann das Zimmer quasi als Lückenbüßer bekommen.

Deswegen und auch aus Kostengründen greifen viele meiner Bekannten nur mehr auf die Restplatzbuchung zurück – wie auch wir oft. Man wartet zuerst den Wetterbericht ab, auch wenn der meist dann eh nicht stimmt und bucht erst dann seinen Wochenend- oder Ferienurlaub. Wir suchen dann das billigste Angebot raus – oft ohne das Kleingedruckte zu lesen – und wundern uns dann, wenn es uns wieder nicht gefallen hat, weil wir viel zu viel zu meckern hatten. Die Rechnung: 5 Minuten Recherche für viele Tage eitel Sonnenschein geht halt oft nicht auf, weil da ein Ungleichgewicht besteht. Und wir bleiben meist kürzer – die Zeit ist immer knapp, ich kann mich gar nicht erinnern, wann wir oder unsere Bekannten einen 2-wöchigen Urlaub gemacht haben. Obwohl uns meist genau diese langen Erholungsphasen fehlen, um wieder zur Ruhe und „Besinnung“ zu kommen, wie es manchmal in den guten alten Weihnachtskarten steht – „Besinnliche Weihnachten“.

Grad jetzt bei dem ersten Schnee, der gefallen ist, habe ich viele entwurzelte Bäume gesehen, die die Schneelast nicht ausgehalten haben und einfach entwurzelt wurden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das früher so häufig passiert ist. Ebenso ist für mich ein Berg eine Rückendeckung, der Schutz und Sicherheit gibt. Auch hier hören oder erleben wir immer öfter von Muren, die den Berg und die Landschaft verändern und das Gefühl der Sicherheit wird ins Wanken gebracht. Das habe ich heuer selbst erlebt – ein Hang in der Nähe meines Wochenendwohnortes wurde total kahl geschlägert und siehe da, beim nächsten Sommergewitter, war die Mure schon da und blockierte die Straße – zum Glück wurde niemand dabei verletzt.

Wurzeln verbinden und je größer und dicker der Stamm ist, meist umso mehr Wurzeln. Und Stämme geben doch Sicherheit und Halt und ich glaube grad in dieser Zeit sind viele Menschen auf der Suche nach etwas zum Anhalten und dann nehmen sie einfach den 1. Baum, der da um die Ecke steht – meist den einfachen Weg, denn ich glaube von Natur aus sind viele von uns eher mit der Eigenschaft Faulheit geboren. Als Kind habe ich das auch gemacht: manchmal einen Baum umarmt, da habe ich mich ganz toll geschützt gefühlt. Doch Wurzeln und Stämme verhindern auch Leichtigkeit und man muss sich schon ein wenig anstrengen und das Hindernis zu überwinden, damit wir weiterziehen können.

Veränderung passiert, egal ob wir wollen oder nicht. Wir können nur entscheiden, ob wir diesen Prozess aktiv mitgestalten wollen oder nicht. Ich lenke lieber ein wenig mit, um die Richtung zu beeinflussen, in die ich will, für mich fühlt sich das besser an als sich treiben zu lassen und ausgeliefert zu sein.

Ich wünsche euch einen angenehmen Sonntag und einen Baumstamm mit festen Wurzeln zum Anlehnen, auf den ihr euch verlassen könnt

Gelly

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